Korrespondenzen
Unter dem Titel Korrespondenzen werden - alle zwei Jahre variierend - aktuelle, hochbrisante gesellschaftspolitische Themen bearbeitet und in praktischer Umsetzung und künstlerisch-theoretischer Situierung verortet. Die Korrespondenzen reagieren auf weltweite politische Ereignisse und Zustände und situieren sich damit in den Säulen I und II des Zentrums. Auf diese Weise werden die kreativen Möglichkeiten der Steiermark und des Grazer Stadtraums aufgegriffen und sichtbar gemacht. So kann das Endergebnis unterschiedlichste Formen annehmen und in Form eines Diskussionsabends, einer Performance oder eines partizipativen Kunstprojekt, im Sinne der Relational Aesthetics, präsentiert werden.
Die erste Veranstaltung der Korrespondenzen, Korrespondenzen I: Kunst – "Umweltgerechtigkeit" – nachhaltiges Handeln, wird von dem Zentrum für GegenwartsKunst als ein viertätiges Festival abgehalten. Hierbei werden sich KünstlerInnen sowie TheoretikerInnen interdisziplinären spezifischen Fragestellungen widmen und diese aufarbeiten.
WANN: 11.-14. Mai 2022
WO: Kunsthaus Graz und HALLE FÜR KUNST Steiermark
Korrespondenzen I: Kunst – "Umweltgerechtigkeit" – nachhaltiges Handeln
Im Mittelpunkt der ersten Korrespondenzen steht politische Verantwortung und politisches Handeln im Kontext von Umwelt und Nachhaltigkeit. Mit den Themen politische Verantwortung, Ökologie, Umweltgerechtigkeit, Anthropozän, Klimawandel, Ressourcen und Nachhaltigkeit nimmt die Veranstaltungsreihe explizit Bezug auf das langjährige Projekt Naturally Hypernatural, das seit seinem Beginn im Jahr 2014 in erfolgreicher Kooperation des Instituts für Kunstgeschichte der Karl-Franzens Universität Graz mit der School for Visual Arts, New York regelmäßig internationale Symposien veranstaltet, die sich in unterschiedlichen Ausrichtungen und Schwerpunkten mit unterschiedlichen Konzepten von Natur in der Moderne und Gegenwartskunst und -kultur auseinandersetzen. Das Zentrum für GegenwartsKunst kooperiert auch dahingehend erfolgreich mit dem Strange Tools Research Lab und der University of Cincinnati.
Die drastischen Konsequenzen und Auswirkungen menschlichen Handelns sind und werden immer sichtbarer. Das Gleichgewicht der Erde ist gestört, Landschaften werden verändert, Lebensräume und Natur zerstört, Vielfalt reduziert, Luft und Wasser verschmutzt. Die Auswirkungen eines die Umwelt deutlich beeinflussenden menschlichen Handelns hat viele WissenschaftlerInnen zu dem Schluss geführt, dass wir in einer neuen geologischen Epoche leben, die auf einer Geologie des Menschen beruht – dem Anthropozän. Im Jahr 2000 schlugen daher der Atmosphärenforscher Paul Crutzen und der Biologe Eugene F. Stoermer vor, den Begriff des Holozäns aufzugeben und durch den Begriff des Anthropozäns zu ersetzen, um die zentrale Rolle der Menschheit in der Geologie und Ökologie zu betonen.
Der französische Philosoph Bruno Latour geht in seinem Essay „Agency at the time of the Anthropocene“ auf dieses Problem ein. Um die Tatsache hervorzuheben, dass die Erde jetzt auf die Symptome einer großen planetarischen Krankheit ‚reagiert‘, erinnert Latour an die mythische Göttin Gaia – die Personifizierung der Erde als lebendigen, sich selbst regulierenden Organismus. Für die Kulturwissenschaften und die Künste wurde das Konzept des Anthropozän spätestens mit Bruno Latours Schrift „Wir sind nie modern gewesen“ relevant und wird gegenwärtig aus verschiedenen Perspektiven sowohl kritisch diskutiert als auch durch andere Konzepte – wie etwa jenes des spekulativen Realismus – konterkariert.
In diesem Sinne werden zu den Korrespondenzen I: Kunst - "Umweltgerechtigkeit" - nachhaltiges Handeln international bekannte KünstlerInnen, ForscherInnen, sowie TheoretikerInnen eingeladen, um gemeinsam mit steirischen WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen den Diskurs zu erweitern, Fragestellungen aufzuarbeiten und gemeinsam Problemlösungsansätze zu finden.
Die Korrespondenzen I schaffen es präzise ausgewählte internationale Positionen zum Thema ‚nachhaltiges Handeln‘ nach Graz zu bringen und die Korrespondenz zwischen ihnen zu ermöglichen. So wird zum Beispiel an Tag 1 eine Listening Session von „Sun & Sea (Marina)“ präsentiert. Diese Opernperformance gewann auf der Venedig Biennale 2019 den Goldenen Löwen und beschäftigt sich mit dem Umgang der Menschen mit einer müden Erde. Parallel dazu wird ein relationales Kunstwerk von Mathias Kessler stattfinden, eine soziale partizipative Skulptur, bei der das Handeln der Menschen direkt anhand einer vereisenden Skulptur deutlich gemacht wird. Weitere Standpunkte zu diesem Thema der Interaktion von Kultur und Natur werden von Kristopher J. Holland, Professor am Institut für Bildende Kunst und Kunsttheorie, Design und Architektur an der University of Cincinnati sowie Co-Director des Strange Tools Research Lab als Keynote für das Zentrum für GegenwartsKunst und DJ Hellerman, Autor, Archivar, Kunsthistoriker und Kurator SCAD Museum of Art in Savannah, Georgia als Gespräch mit der Künstlerin Nikola Irmer ausgeführt.
In diesem Sinne ergeben sich Diskussionen zum Thema ‚Anthropocene & Cultural Identity‘ an Tag 2 zwischen der Wissenschaftlerin Eva Hayward, die sich intensiv mit der Frage nach Gender im Sinne von politischer und sozialer Verantwortung beschäftigt, aber auch mit Ästhetik- und Umweltforschung und der Kuratorin Daniela Zyman, die explizit den maritimen Raum und dessen materielle, ökonomische und ökologische Bedeutung für die Globalisierung thematisiert, um dringenden sozialen, politischen und ökologischen Fragen nachzugehen. Zusätzlich präsentiert der österreichische Künstler Markus Jeschaunig in Form eines Artist Talk seine Kunst, er setzt seine Schwerpunkte im Spannungsfeld von Kunst, Ökologie und Technik. Außerdem präsentieren die kroatischen KünstlerInnen Azra Svedružić und Demirel Pašalić ihre gemeinsamen künstlerischen Praktiken zum Themenfeld von Entwaldung und der Notwendigkeit des Schutzes und Erhalts von Waldlebensräumen. Es findet am Ende dieses Tages eine Round-Table-Discussion in Zusammenarbeit mit dem Grazer Kunsthaus zum Thema ‚nachhaltiges Kuratieren‘ statt.
Das Screening und die Lecture „Gathering around the Wreckage“ von dem österreichischen Künstler Oliver Ressler und der Artist Talk von dem österreichischen Künstler Thomas Feuerstein geben an Tag 3 Anstoß zu einer Korrespondenz mit Jan Söffner, der sich aus der Perspektive der Kulturtheorie mit politischer Handlungsfähigkeit befasst, und anschließend wird das Publikum zu einer Diskussion zum Thema Klimawandel und Umweltgerechtigkeit eingebunden.
Der finale ‚Austausch‘ an Tag 4 wird angetrieben durch die Projektpräsentation von „ZERO WASTE Food-Art“ von dem Künstlerkollektiv Britto Arts Trust aus Bangladesch, die sich mit der ergiebigen Kraft von Kunst in einer globalen Krise beschäftigen und dieses Jahr an der documenta 15 in Kassel teilnehmen. Den Abschluss bildet die Weltpremiere „Das Resort“ von Mathias Kessler, dabei werden die leeren Skigebiete Österreichs thematisiert als Sinnbild der ökonomischen, sozialen und emotionalen Beschwernisse, die die Pandemie hervorgebracht hat. Auch hierbei wird die Diskussion hin zum Publikum geöffnet.
Die Korrespondenzen I sollen dem fruchtbaren und wichtigen Austausch zwischen KünstlerInnen, TheoretikerInnen und WissenschaftlerInnen Raum geben, sodass unterschiedliche Standpunkte und Blickwinkel auf gegenwärtig zentrale Themen aufgezeigt werden, theoretisch reflektiert werden und in wissenschaftlicher Zusammenarbeit und Korrespondenz interdisziplinär bearbeitet werden können. Die Korrespondenzen I befassen sich mit Environmental Justice und nachhaltigem Handeln – Themenbereichen, die vor allem in der Steiermark, dem grünen Herzen Österreichs, wesentliche Impulse auch für die breite Öffentlichkeit setzen werden. Denn die Problematik des Klimawandels und der Umweltgerechtigkeit betrifft uns alle. Daher ist es notwendig, sich die Konsequenzen und Potentiale menschlichen Handelns vor Augen zu führen, politische Verantwortung aufzuzeigen, Umweltgerechtigkeit zum Thema zu machen und darin die Öffentlichkeit, die Steirerinnen und Steirer einzubinden – ein themenspezifisches Reflektieren über Länder, Disziplinen und Kulturen hinweg.
Das vielfältige Programm wurde in Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus Graz und der HALLE FÜR KUNST Steiermark erarbeitet und die Veranstaltungsreihe öffnet sich explizit zur und für die Öffentlichkeit.
Sabine Flach
Zentrum für GegenwartsKunst
- Mag.
Ursula Winkler